Nicht zuletzt wird mit den steigenden Infektionszahlen auch vermehrt über das Homeoffice diskutiert. Das mit der unmittelbaren Zusammenarbeit von Menschen in einem Betrieb die Risiken für Infektionen mit dem Covid-19-Virus steigen kann, ist nur die logische Konsequenz. Doch was wird dabei eigentlich vom Arbeitgeber erwartet und kann er sich strafbar machen, wenn er die Angestellten nicht ausreichend schützt?
Die „Niedersächsische Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus“ verbietet die unmittelbare Zusammenarbeit von Menschen in einem Betrieb nicht. Vielmehr hat diese Verordnung in ihrer jeweils geltenden Fassung stets in § 10 Abs. 1 unter der Überschrift „Regelungen zur Berufsausübung“ bestimmt, dass Zusammenkünfte von mehreren Personen zu beruflichen Zwecken zulässig sind; „soweit möglich“ ist dabei jedoch ein Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Personen einzuhalten.
Dennoch dürfte es den Unternehmen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren angeraten sein, die Beschäftigten auch über den „soweit-möglich-Mindestabstand“ hinaus durch geeignete technische, organisatorische und ggf. personenbezogene Maßnahmen vor Infektionen am Arbeitsplatz zu schützen. Denn das Gesetz verpflichtet den Arbeitgeber u.a. „Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete [Arbeitnehmer] gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet“ (§ 618 Abs. 1 BGB) und „die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen“ (§ 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG).
Dabei werden naturgemäß nicht alle denkbaren Schutzmaßnahmen für jeden Arbeitsplatz eines jeden Betriebes möglich, geeignet und zumutbar – und damit notwendig – sein. Jedoch ist der Arbeitgeber gesetzlich ohnehin verpflichtet „durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind“ (§ 5 Abs. 1 ArbSchG; sog. Gefährdungsbeurteilung) und u.a. das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung und die festgelegten Maßnahmen zu dokumentieren (§ 6 Abs. 1 ArbSchG). Der Arbeitgeber wird deshalb nicht umhinkommen, die konkreten Arbeitsbedingungen zu beurteilen und für den Betrieb passende Schutzmaßnahmen zu treffen und zu dokumentieren, ggf. in den der Gefährdungslage angepassten Gefährdungsbeurteilungen.
Einen für die praktische Umsetzung hilfreichen Überblick über denkbare technische, organisatorische und personenbezogene Schutzmaßnahmen enthält der „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 16.04.2020 veröffentlicht hat. Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung kommt diesem Arbeitsschutzstandard jedoch wohl nicht zu (so z.B. Dr. Martin Lützeler, „Neuer Arbeitsschutzstandard aus dem BMAS: Viel Verwirrung für ein bisschen Hilfe“, in Legal Tribune Online am 04.05.2020).
Nicht nur aus der Arbeitsschutzverpflichtung gegenüber den Beschäftigten und aus allgemeinen epidemiologischen Gründen sollten Unternehmen die Einführung eines der Gefährdungslage und den betrieblichen Abläufen angepassten Hygienekonzepts befördern; Vielmehr auch aus Gründen der Vermeidung von Haftungsrisiken. Zwar dürfte eine Haftung des Unternehmens bei Infektionen am Arbeitsplatz wohl als „Arbeitsunfall“ zu werten sein und damit dem Haftungsprivileg der Unternehmen für Personenschäden nach § 104 SGB VII unterfallen. Jedoch haben Anne-Kathrin Bertke und Thomas Müller-Bonanni in dem Artikel „Angesteckt im Büro“ in der FAZ vom 02.06.2020 darauf hingewiesen, dass die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung als Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallkassen eine Einstandspflicht für Schäden aufgrund von Covid-19-Infektionen am Arbeitsplatz mit der Begründung ablehnt, dass mit der Einstufung als Pandemie eine solche Erkrankung kein arbeitsplatzspezifisches Risiko sondern eine Allgemeingefahr darstelle. Ob diese rechtliche Einschätzung aufrechterhalten und ggf. von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung geteilt wird, bleibt abzuwarten. Sollte sich diese Rechtsauffassung jedoch durchsetzen, verlören Unternehmen wohl ihr Haftungsprivileg aus § 104 SGB VII und müssten sich bei entsprechenden Infektionen am Arbeitsplatz ggf. selbst Haftungsansprüchen der betroffenen Arbeitnehmer ausgesetzt sehen, sofern dem Unternehmen fahrlässige Versäumnisse im Bereich des Infektionsschutzes am Arbeitsplatz vorgeworfen werden können.
von Martin Pessara
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